focus.de: Petrarca-Preis 2011 - Gipfeltreffen des Geistes
Mit dem slowenischen Kärntner Florjan Lipus und dem Schotten John Burnside haben zwei Autoren den Petrarca-Preis erhalten, die einzigartige Stimmen ihrer Kultur sind.
Als Florjan Lipus erfuhr, dass er einen Literaturpreis erhalten sollte, glaubte er zunächst an einen Scherz. „Es war der 1. April, und ich hätte niemals mit solch einer ehrenvollen Auszeichnung gerechnet.“ Der slowenische Schriftsteller, der in einem abgelegenen Tal der österreichischen Karawanken lebt, ist das Rampenlicht einer größeren Öffentlichkeit nicht gewohnt. Doch Peter Handke, der ihn angerufen hatte, war es ernst. Am vergangenen Samstag nun war es soweit: Die Petrarca-Preisträger des Jahres 2011 nahmen die Ehrung aus der Hand von Verleger Dr. Hubert Burda entgegen. Zusammen mit Lipus wurde der schottische Schriftsteller John Burnside ausgezeichnet. Sie teilen sich den mit 20000 Euro dotierten Preis.
Die einzigartige Stimme einer Kultur
Die Wahl der beiden Autoren entspricht dem Konzept der Jury des Petrarca-Preises um Stifter Hubert Burda. „Wir wollen die nationale und regionale Kultur in Europa unterstützen“, sagte der Verleger zu Beginn der Veranstaltung im prächtigen Rokokosaal des Klosters Benediktbeuern. Erklärtes Ziel sei es, europaweit nach Schriftstellern Ausschau zu halten, die ihrer jeweiligen Kultur eine einzigartige Stimme geben. Es soll sich dabei um ein künstlerisches Werk im Kontext regionaler Zugehörigkeit handeln. Beide Preisträger, Florjan Lipus und John Burnside, erfüllen diese Kriterien nahezu beispielhaft.
Lipus gehört der slowenischen Minderheit Kärntens an, einer vergessenen und von der österreichischen Politik weitgehend ignorierten Volksgruppe. Seit er zu schreiben begann, hält er die Erinnerung an das Leid, aber auch die Eigenständigkeit dieser Kultur wach. Dafür nimmt er in Kauf, dass nur eine kleine Gruppe von Menschen seine Bücher liest, denn das Slowenische wird immer mehr zurückgedrängt. Innerhalb von hundert Jahren ist der Anteil der slowenisch sprechenden Bevölkerung in Österreich von 100 000 auf 10 000 geschrumpft.
Zentrale Themen: Herkunft und Verlust
Wie für Lipus ist auch für den schottischen Schriftsteller John Burnside das Thema Herkunft und Verlust zentral. Er war ein kleiner Junge, als die Familie Schottland verließ und nach England zog. Erst als Erwachsener kehrte er zurück. Heute hat er eine Professur für Kreatives Schreiben an der St. Andrews University inne. In seinen Gedichten beschwört Burnside seine schottische Heimat herauf, entwirft sinnliche Szenarien von Häfen und Fischerdörfern. Das Regionale wird zum Kosmos seiner Erfahrungswelt.
Mit dem Petrarca-Preis erhalten die beiden Schriftsteller eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen Deutschlands. Einmal im Jahr lädt Hubert Burda zu einem Fest der Literatur, das zugleich ein Gipfeltreffen des Geistes ist. Schon die Zusammensetzung der Jury zeigt den hohen Anspruch dieser intellektuellen Institution. Mit Peter Handke, Michael Krüger, Peter Hamm und Alfred Kolleritsch hat Burda vier hochkarätige Protagonisten der Literaturszene an seiner Seite, die sich weder an Trends noch am Marktwert von Autoren orientieren. Die Preisreden waren denn auch Elogen auf zwei herausragendende Autoren, die man vergeblich auf den Bestsellerlisten suchen wird, die ihrer hohen literarischen Qualität wegen jedoch eine breitere Aufmerksamkeit verdienen.
Geschichten eines Verschollenen
„Seine Geschichten sind die eines Verschollenen“, sagte Laudator Peter Handke über Florjan Lipus. Der Slowene Lipus halte zugleich eine verschollene Sprache lebendig, die zum machtvollen Dokument von Bitterkeit und Protest werde: „Seine Epik ist ein gegliederter Aufschrei. Die Sprache knirscht mit den Zähnen, und gleichzeitig singt sie.“ Besonders stellte Handke die erzählerische Haltung des Preisträgers heraus: „Eine Mischung aus Noblesse und Frechheit, die wir sonst nur aus mittelalterlichen Epen kennen. Heutzutage gibt es solche Literatur nirgends.“ Lipus arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Lehrer. Für ihn fiel die Verleihung des Petrarca-Preises mit einem anderen wichtigen Ereignis zusammen. In seiner Dankesrede erzählte er: „In Kärnten hat die slowenische Sprache in diesen Tagen eine Ehrung erfahren: Die Ortsschilder sind seit kurzem zweisprachig. Es sind bejahende Symbole für das Jetzt und Hier eines Volkes.“
„Er ist ein sprachbesessener Melancholiker mit Lust aufs Dasein“, charakterisierte Laudator Jan Wagner den Autor John Burnside. „Zusammen mit der visuellen Pracht seiner Sprache hat das etwas geradezu Barockes.“ In Metaphern und Vergleichen feiere Burnside die Sinnlichkeit des Sichtbaren, in Formulierungen wie „the buttermilk of dawn“. In Deutschland wurde Burnside unter anderem mit dem Roman „Lügen über meinen Vater“ bekannt. Eindringlich schildert er darin eine Kindheit, die von Armut und vom alkoholabhängigen Vater überschattet wird.
Zweifellos wird die Ehrung dazu beitragen, Burnside und Lipus in Deutschland bekannter zu machen. Für die Leser eröffnet sich die Chance von ungewöhnlichen Entdeckungen, denn es sind zwei Autoren, die sich dem globalisierten Mainstream des Literaturbusiness entziehen. Ein starkes Statement der Jury des Petrarca-Preises um Hubert Burda. Und ein Einspruch gegen die Verwechselbarkeit formatierter Buchproduktion. Für den 1937 geborenen Florjan Lipus ist der Petrarca-Preis der Schlussstein seines Schriftstellerlebens. „Es wird keine weiteren Bücher geben“, erklärte er gegenüber dem FOCUS. „Es ist alles gesagt, und ich möchte mich nicht wiederholen.“ John Burnside dagegen arbeitet derzeit an einem neuen Roman. Beim Mittagessen nach der Preisverleihung verrät er: „Es geht darin um die romantische Liebe.“ Er macht eine kleine Pause und lächelt. „Sie ist keine Illusion, glauben Sie mir. Leider dauert sie immer nur sehr kurz.“