focus.de: Schwedischer Nobody überrascht Reich-Ranicki
Bei den Wettbüros galt Folkrock-Poet Bob Dylan als Favorit, doch der Literaturnobelpreis geht dieses Jahr nach Schweden: an den Lyriker Tomas Tranströmer. Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki kannte ihn bisher nicht.
„Durch seine dichten, durchlässigen Bilder verschafft er uns einen frischen Zugang zur Realität“, hieß es in der Begründung der Königlichen Akademie der Wissenschaften am Donnerstag in Stockholm. Tranströmer gehörte seit Jahren zu den engen Anwärtern für den wichtigsten Literaturpreis.
Marcel Reich-Ranicki hatte ihn dennoch nicht auf der Rechnung. „Ich habe keine Ahnung, wer der Lyriker ist“, sagte Deutschlands Literaturpapst am Donnerstag in einer ersten Reaktion der Nachrichtenagentur dpa. Auf die Frage, ob er Verständnis für die Vergabe des weltweit wichtigsten Literaturpreises an den 80-jährigen Schweden habe, meinte der 91 Jahre alte Reich-Ranicki: „Ich glaube nicht.“ Reich-Ranickis langjähriger Wunschkandidat für den Nobelpreis, der US-Autor Philip Roth, ging auch dieses Mal wieder leer aus.
„Tomas ist unglaublich froh“
Monica Bladh-Tranströmer, Ehefrau des schwedischen Literaturnobelpreisträgers Tomas Tranströmer, hat die Auszeichnung „als Riesenüberraschung“ bezeichnet. In einem Telefoninterview mit dem TV-Sender SVT sagte sie für ihren Mann, der nach Schlaganfällen sein Sprachvermögen weitgehend verloren hat: „Tomas ist unglaublich froh, aber auch überwältigt“. Er sei auch „unglaublich überrascht“ und habe mit dem Nobelpreis schon seit Mitte der 90er Jahre nicht mehr gerechnet: „Wir dachten, dass es eigentlich viel zu kompliziert mit der Vergabe an einen schwedischen Autoren sein würde.“
Monica Bladh-Tranströmer arbeitet seit Beginn der schweren Behinderung ihres Mannes nach mehreren Schlaganfälle mit ihm zusammen an Gedichten. Sie beantwortet auch Interviewfragen für ihn. „Tomas sitzt jetzt in seinem Sessel und atmet erst mal durch“, sagte sie weiter, umgeben von Journalisten.
Auch der Münchner Hanser Verlag freut sich „über alle Maßen“ über den Literatur-Nobelpreis für den Autor Tomas Tranströmer, wie eine Sprecherin am Donnerstag auf dapd-Anfrage sagte. Das Haus, das mit dem 1931 in Stockholm geborenen Autor in Freundschaft verbunden ist, hat das Werk des Dichters in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Derzeit sind dort drei Werke des Schriftstellers lieferbar, darunter das lyrische Gesamtwerk.
Der achte schwedische Gewinner
Der 80-jährige Tranströmer ist bereits der achte schwedische Gewinner in der mehr als 100-jährigen Geschichte des wichtigsten Literaturpreises der Welt und seit 1996 der erste Lyriker, der mit höchsten literarischen Auszeichnunggeehrt wird. Damals ging der Nobelpreis an die Polin Wislawa Szymborska.
Im vergangenen Jahr bekam der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa den wichtigsten Literaturpreis der Welt. Die Auszeichnung ist mit umgerechnet 1,1 Millionen Euro (10 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert. Der Literaturnobelpreis wird am 10. Dezember in Stockholm überreicht – dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.