focus.de: Der sanfte Fremdling

Hermann Lenz, der Dichter der Anschauung und des Wiederfindens, starb am 12. Mai in München

Nachwirken werden seine knappen Sätze: „Ohne zu schreiben magst du nicht mitmachen im Lebenstheater.“ „Immer so tun, als ob nix wär.“ „Mehr, als daß du es erträgst, bleibt dir nicht übrig.“

Seit Peter Handkes begeistertem Essay „Einladung, Hermann Lenz zu lesen“ (1973) fand der bis dahin zu Unrecht Übergangene Anerkennung und sein Publikum. Von 1936 bis 1997 veröffentlichte er über 30 Bücher, darunter neun Bände, die vom Leben seines literarischen Alter ego Eugen Rapp erzählen.

Im Juni 1987 erhielt er den von Hubert Burda gestifteten Petrarca-Preis. Damals würdigte Peter Hamm Werk und Person des Dichters.

FOCUS zitiert Passagen:

Kein anderer deutschsprachiger Autor hat die Nazi-Jahre und alles, was sie ausmachten, so unheimlich präzise und gleichzeitig so eigenwillig erinnert wie Hermann Lenz in seinen Romanen Andere Tage“, Im inneren Bezirk“, Neue Zeit“ und in der Erzählung Der russische Regenbogen“, die – und hier macht das abgedroschene Wort doch einmal Sinn – Pflichtlektüre für junge Deutsche sein müßten . . .

Das Unheimliche, das ist die Veränderung. Hermann Lenz kann anscheinend nur das einigermaßen ertragen, was sich nicht mehr verändert – das ist die Vergangenheit – oder was sich in der Veränderung doch stets gleich bleibt – das ist die Natur . . .

Natur und Vergangenheit sind für Hermann Lenz sozusagen Zufluchtsinseln im reißenden und trüben Strom der Gegenwart und der Geschichte. Vorwärts“, womöglich noch über Ruinen, das wäre für ihn eine unannehmbare Parole, obwohl Ruinen ihm wiederum ganz recht sind, aber nur als Mahnmale der Vergangenheit und möglichst schon dicht überwachsen von Natur.

Peter Handke hat geschrieben, Hermann Lenz sähe in seinem Roman Neue Zeit“ die im Krieg verlorenen Menschen wie gruppiert zu schmerzlichen Abschiedsbildern“ -; und zur Lenz-Erzählung Der Kutscher und der Wappenmaler“ sagte Handke, er habe vom Lesen ein Kindheitsgefühl“ bekommen, als ob nun endlich alle Vermißten zu Hause wären“. Verlorenheit und Geborgenheit hat Hermann Lenz so beharrlich und so sanft einander angenähert, wie er beharrlich und leise das Leben – sein Leben – in Schreiben, in eine sich nicht mehr verändernde Form und in Harmonie überführt hat.

Und weil das eben so ganz ohne große Worte und ohne pathetische Gebärden geschah – wenig Pedal war immer besser!“, empfiehlt der Sohn einer Mutter, von der weit mehr als ihr Klavierspiel in seinen Büchern überlebt hat (man muß sich nur seine Buchtitel ansehen, um in Hermann Lenz einen Liebhaber des gedämpften Parlando zu erkennen, der mit geringstem Pedalgebrauch auskommt), und weil ängstliche oder listige oder ängstlich-listige Untertreibung also so gut zu ihm paßt, will ich zum Abschluß Hermann Lenz – genau: seinen Roman Neue Zeit“ – in diesem Sinne zitieren: „Auf schwäbisch . . . hieß es, wenn etwas schön war, halt bloß . . . Es ist zum Aushalten!“

DIE WERKE

Als die „fortschrittliche“ Literatur in den 70er Jahren Überdruß erzeugte, begann seine Zeit.

Erstpublikation nach dem Krieg: „Das doppelte Gesicht – Drei Erzählungen“

Neun Bände über Eugen Rapp: Sie beginnen mit „Verlassene Zimmer“ (1966) und enden mit „Freunde“ (1997).

Alle Bücher sind lieferbar: Suhrkamp/Insel Verlag

HERMANN LENZ

Scharfer Beobachter der Eitelkeiten und Gemeinheiten der Welt, Sucher des Schönen

Geboren am 26. Februar 1913 in Stuttgart. Theologiestudium in Tübingen (1931-33). Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Germanistik in Heidelberg und München (1933-1940). Danach Soldat, 1945 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft

Karriere: Sekretär des süddeutschen Schriftstellerverbands (1951-1971). 1975 Umzug nach München. Büchner-Preis 1978, Münchner Literaturpreis 1995