Preisflut in dürren Dichterzeiten

Durchschnittlich werden zwei Auszeichnungen pro Tag an deutsche Literaten verliehen

Der Dichter erhielt einen Preis und war-s dennoch nicht zufrieden. Herbert Achternbusch, bayerischer Anarcho-Poet und Filmemacher, machte 1977 in Tusculum die Verleihung des Petrarca-Preises zum Happening eigener Art.

Er warf den Filmprojektor (an die Wand), einige Untertassen (in Richtung der Jury), den Inhalt eines Weinglases (ins Gesicht eines Ästhetik- professors) und eine große in seine Hände geratene Puppe vor die Füße des erstaunten Auditoriums: „Do habts Ihr Eiern Achdernbusch.“

Seinen prachtvollen Amoklauf krönte er mit der Verbrennung des Schecks. (Später aber hat er die 20 000 Mark genommen und damit seinen neuen Film finanziert.)

Die Literaturpreise sind zweifellos die skandalträchtigste Einrichtung im schläfrigen deutschen Literaturbetrieb. Schon deshalb sollte ihre Vergabe weiterhin gepflegt werden.

Nur Naive glauben noch daran, es sei die vornehmste Aufgabe eines Literaturpreises, einen Autor zu ehren und zu feiern. Ob in Tusculum oder in einem brav ausgeschmückten deutschen Rathaussaal – man trifft sich halt gern, nur soll doch, bitte schön, der Preisträger beim Small talk nicht allzusehr im Wege sein.

Wie anders ließe sich das absurde Preis-Treiben in Deutschland erklären? Zuverlässigen Schätzungen zufolge werden in Deutschland jährlich knapp 500 Literaturpreise, Förderungen und Stipendien vergeben.

Der im Reclam Verlag erscheinende Jahresüberblick „Deutsche Literatur“ spricht gar von „etwa 750 Literaturpreisvergaben“ pro Jahr. Statistisch gesehen werden also anderthalb bis zwei Auszeichnungen täglich verliehen. Daß es trotz der notorischen Dichter-Dürre in Deutschland preiswürdige Schriftsteller in so reicher Zahl geben soll, vernehmen selbst Fachleute mit Staunen.

Die Summen, die im Gefolge dieses Preis-Rummels an Autoren ausgeschüttet werden, sind eher dürftig: Die genannten Zahlen schwanken zwischen 3,5 und 6,5 Millionen Mark jährlich. Ein Betrag, mit dem der deutsche Theater- oder Opernbetrieb kaum seine Portokasse füllen kann.

Ein weiteres Indiz dafür, daß die Preisstifter oft mehr Wert auf Imagepflege als auf die Unterstützung der Autoren legen, zeigt der Blick auf die erheblichen Nebenkosten für jeden Preis.

Eine oft vielköpfige Jury muß bestellt, zu Sitzungen eingeladen, verpflegt und beherbergt werden, dazu muß ein Lobredner gefunden und für seine Laudatio bezahlt, für die Preisübergabe ein Saal gemietet und das offenbar unvermeidliche Streichquartett engagiert werden.

Von diesen Geldern sollte der gefeierte Autor besser nichts wissen. Sicheren Quellen zufolge soll sich die Schreibartikel-Firma Montblanc ihren Literaturpreis 100 000 Mark haben kosten lassen. Davon erreichen gerade 20 000 Mark den Preisträger.

Die stillen Profiteure des alljährlichen Preissegens sind die Veranstalter und Juroren. Entflicht man das Netzwerk der Juroren in Deutschland, lassen sich graue Eminenzen und auch so etwas wie eine Versuchung zur Vetternwirtschaft ausmachen.

Sitzen zum Beispiel Autoren des Suhrkamp Verlags oder gar der Verleger Siegfried Unseld selbst in einer Jury, was erstaunlich oft der Fall ist, werden häufig Bücher preisgekrönt, die in eben diesem Verlag publiziert wurden.

So sind von den Trägern des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in den vergangenen zehn Jahren allein sechs Autoren des Frankfurter Suhrkamp Verlags.

Das schönste Beispiel für Vetternwirtschaft lieferte unlängst Hans Magnus Enzensberger, der Lehrmeister des Literaturbetriebs. Zum alleinigen Juror des Kleist-Preises (25 000 Mark) bestellt, zeichnete er seinen Freund Gaston Salvatore aus, von dem selbst die gewieftesten Literaturkenner seit Jahren nur noch zu berichten wissen, daß er dringend Geld braucht.

Hinzu kommt eine fiskalische Groteske eigener Güte: Die großen Preise, die in aller Regel an etablierte Schriftsteller für ihr Gesamtwerk vergeben werden, sind steuerfrei.

Auf die Stipendien dagegen, mit denen sich vor allem junge, noch bedürftige Autoren durchs karge Künstlerleben schlagen, legt das Finanzamt seine Hand: So wird, was der Staat mit der Rechten als Förderung austeilt, von seiner Linken zum Teil gleich wieder einbehalten.

Der Preis-Betrieb bewegt die Schriftsteller überdies manchmal zu bemerkenswerten Kompromissen. So akzeptierte der langjährige DKP-Autor Günter Herburger erst vor kurzem den Hans-Erich- Nossack-Preis (20 000 Mark) – vergeben vom Bundesverband der Deutschen Industrie.

So ließ sich Wolfdietrich Schnurre zwar im Namen Georg Büchners auszeichnen (30 000 Mark), beschimpfte den Patron seines Preises dann aber als „vaterlandslosen Gesellen“ und „terroristischen Obrigkeitsverächter“. So nahm Christoph Hein, einer der prononciert linken Schriftsteller der ehemaligen DDR, den Ludwig-Mühlheims-Preis an (30 000 Mark), ausgeschrieben für „religiöse Dramatik“.

Geld verdirbt die Sitten. Allerdings befinden sich viele Autoren in einer kläglichen materiellen Lage. „Nur wer ein ähnlich großes soziales Risiko auf sich nimmt wie freie Schriftsteller“, meint Uwe Wittstock, Lektor des Frankfurter S. Fischer Verlags, „darf über das allzu einnehmende Wesen einiger (weniger) Autoren den Stab brechen“.

Und er sagt: „Außerdem ist es besser, wenn zehn schwache Bücher zu Unrecht ausgezeichnet werden, als daß die Arbeit an einem wirklich guten Buch nicht gefördert wird und deshalb steckenbleibt“.

Nur einer Gruppe im Literaturbetrieb scheint der Preis-Zirkus herzlich egal zu sein: den Lesern. Auf den Verkauf von Büchern haben die meisten Auszeichnungen, selbst die renommierten, kaum Einfluß.

Der jährlich bestellte „Stadtschreiber von Bergen-Enkheim“ (30 000 Mark) mag in Bergen-Enkheim einige Bürger für sich gewinnen, aber schon in angrenzenden Gemeinden bleibt er so unbekannt wie zuvor – vom nahen Frankfurt ganz zu schweigen.

Allenfalls die Preise, die vor Fernsehkameras vergeben werden, wie der Aspekte-Literaturpreis des ZDF (15 000 Mark), können den Umsatz der gepriesenen Bücher nennenswert ankurbeln.

Das muß nicht so sein: In Frankreich ist eine sehr kleine Zahl von Literaturpreisen heiß begehrt, nicht weil die Preissumme erstrebenswert wäre, sondern weil die ausgezeichneten Bücher oft riesige Auflagen erreichen.

Die französischen Juroren haben, im Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen, darauf geachtet, Werke auszuwählen, die auch für gewöhnliche Leser zugänglich sind. Ihre Entscheidungen werden als Kaufempfehlung für jedermann akzeptiert.

Dennoch feiert auch in Frankreich die Vetternwirtschaft fröhliche Urständ. 80 Prozent der Preise gehen an Autoren aus drei einflußreichen Häusern, die nur ein Viertel der Romanliteratur produzieren: Gallimard, Grasset und die Editions du Seuil. Die „Galligrasseuil“-Connection ist mächtig.

Die Anzeichen dafür, daß der Unsinn des deutschen Preis- Wesens allmählich erkannt wird, mehren sich. So will die Stadt Braunschweig ihren Wilhelm-Raabe-Preis (10 000 Mark) in diesem Jahr nicht vergeben.

Angesichts der Flut von Preisen beschloß die Kulturdezernentin Birgit Polmann, lieber eine Wilhelm-Raabe-Woche auszurichten, die der Literaturförderung und dem Kontakt zwischen Autoren und Publikum dienen soll.:

Wie das gelingen soll, bleibt auch erfahrenen Literaturmanagern ein Rätsel. Veranstaltungen wie diese sind meist gut gemeint, aber nur selten gut. Sie verbreiten bloßes Schulfunkwissen oder entgleisen zu akademischen Insider-Debatten.

Die meisten Kenner sind sich einig, daß vor allem die staatliche Förderung von Schriftstellern zum Teil aberwitzige Folgen hat. Die wichtigste ist die Gestalt des verhätschelten und im Treibhausklima des Literaturbetriebs aufschießenden Talents.

Niemand aber kennt das Patentrezept, wie es besser zu machen wäre. Sicher ist nur, daß es ohne öffentliche Zuschüsse noch viel schlechter um die deutschen Schriftsteller bestellt wäre – und wohl auch um die deutsche Literatur.

LITERATURFÖRDERUNG

Ausgaben der alten Bundesländer für Stipendien, Arbeitsaufenthalte, Aus- und Fortbildung, Preise, Lesungen, Verbände, Leseförderung, Literaturhäuser, -werkstätten und -büros, Literaturzeitschriften, Übersetzerförderung, Druckkostenzuschüsse u. a.

1985 29.897.816 Mark

1986 32.264.500 Mark

1987 32.399.550 Mark

1988 35.272.544 Mark

1989 35.561.631 Mark

1990 38.079.890 Mark

1991 43.080.079 Mark

DIE ANGESEHENSTEN LITERATURPREISE

Nobelpreis (1992: umgerechnet 1,71 Millionen Mark)

DEUTSCHLAND/ÖSTERREICH/SCHWEIZ

Georg-Büchner-Preis (60 000 Mark)

Großer Schiller-Preis (33 000 Mark)

Großer Preis der Bayer. Akademie d. Künste (30 000 Mark)

Ingeborg-Bachmann-Preis (28 000 Mark)

Kleist-Preis (25 000 Mark)

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (25 000 Mark)

Europäischer Essaypreis (25 000 Mark)

FRANKREICH

Prix Goncourt (15 Mark)

GROSSBRITANNIEN

Whitbread Literary Award (55 000 Mark)

David Cohen Prize (72 000 Mark)

Booker Prize for Fiction (48 000 Mark)

ITALIEN

Antonio Feltrinelli (240 000 Mark)

SPANIEN

Planeta (700 000 Mark); Premio Nadal (42 000 Mark);

Café Gijón (32 000 Mark)

USA

Pulitzer Prize in Letters (1500 mark)